Zum Buch über Dorothee Sölle von Dr. Konstantin Sacher "Dorothee Sölle auf der Spur. Annäherung an eine Ikone des Protestantismus"
Eine Rezension in zwei Beiträgen bei Facebook.
Danke an Prof. Dr. Groezinger für die Veröffentlichung auf meiner Internetseite. Und an Margot Käßmann für einen Kommentar unten.
Prof. Dr. Albrecht Groezinger im August 2023:
Ich habe das Buch gerade zu Ende gelesen. Es ist schlimmer gekommen, als ich befürchtete: ziemlich übles Biografie-Blaming. Ich finde das umso mehr schade, weil der Autor durchaus berechtigt kritische Fragen an Dorothee Sölle stellt. Aber bitte nicht in diesem Framing. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion im kirchlichen Umfeld und vor allem auch in der theologischen Sachdiskussion. Hier ein paar einstimmende Zitate zur Inhaltsebene und zur Tonlage.
Wie gesagt: Das macht mich wirklich ratlos…
"Wobei ich hier kurz erwähnen muss, dass Sölles Ideen der 60er Jahre eigentlich wenig revolutionär waren. (...) Ihre Erkenntnisse waren systematisch-theologisch gesehen "Schnee von gestern". (Seite 28)
"Sölles grundlegende Erkenntnis, die ihr Werk vom ersten bis zum letzten Text prägt, ist genau das: Es gibt nichts. Der Tod ist alles. Die Sinnlosigkeit ist der Sinn". (Seite 32)
"Insofern kann Sölle zwar behaupten, das Glaube in einer sozialistischen Gesellschaft konkret werden würde, bleibt dabei aber auf der Ebene einer persönlichen Behauptung. Man könnte diese die Taliban-Tendenz nennen oder auch den Hang zum Fundamentalismus". (Seite 96)
"Warum die Religion allerdings bei Sölle unbedingt notwendig sein soll und es nicht genauso gut auch religionslos geht, das kann sie nicht zeigen". (Seite 115)
„Aber trotz dieser Publikationslust und der Schnelligkeit in der Gedankenführung, leuchtet nicht ein, warum sie das New Yorker Tagebuch veröffentlichte. Das Buch zeichnet ein Bild, das wenig vorteilhaft ist. Sie nimmt die Leserin und den Leser mit in ihr ausgefülltes, schönes, gefragtes Leben in den USA. Das ließe sich noch als eine Art früher Instagram-Post verstehen. Sie zeigt, wie toll sie ist. Aber dabei bleibt das Buch nicht stehen. Denn sie zeigt sich auch von ihrer unsympathischen Seite. Wenn es bei einer Veranstaltung nicht voll genug ist, ist sie beleidigt. Nicht voll heißt in diesem Fall immer noch siebzig Menschen. Sie schiebt die Verantwortung dafür auf die Veranstalter, fragt, ob es an einer Verschiebung gelegen haben könnte, dass so wenige gekommen sind. Dass sie einfach nicht interessant genug sein könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Sie erzählt davon, wie sie auf einer Vortragsreise bei einer Dame untergebracht wird, die offensichtlich nicht weiß, welche Berühmtheit sie vor sich hat. Sölle ist beleidigt und stellt sich nicht vor. (Sölle dazu in eigenen Worten: Sie [die Dame] weiß nicht das geringste über mich, es ist mir peinlich mich vorzustellen)" (Seite 126 ff.)
„Die Frage war aber, warum sie dieses Buch veröffentlicht hat. Es trägt nichts zu ihrem politischen oder theologischen Denken bei. Es ist reine Selbstzurschaustellung, das Zeichnen eines Lebens im Aktivistinnen-Jet-Set, zwischen Lesung und Predigtreise, im Theater auf dem Broadway und im Restaurant in Greenwich Village, als gefragte Professorin und unkritische Luxus-Linke. Es gibt eigentlich nur zwei Erklärungen für die Veröffentlichung: Geldmangel oder bloßer Veröffentlichungsdrang." (Seite 128) "Aus der Perspektive von heute erinnert Sölles Verhalten und ihr Umgang mit der Geschichte und mit politischen Ereignissen an Querdenker, Verschwörungstheoretiker oder zumindest die Verbreiter von Fake-News." (Seite 130)
„So lese ich das Buch "Mystik und Widerstand" als groß angelegten Versuch, de eigenen wahnhaften Kampf gegen die Windmühlen, den eigenen gottbeseelten aber aussichtslosen Kampf gegen die "todbringende Maschine" - wie sie die kapitalistische Welt hier immer wieder nennt - in eine Tradition einzuordnen und damit zu rechtfertigen: vor sich selbst und ihrem Publikum." (Seite 153)
"Schon in diesen ersten Gedanken zu Deutschland entlarvt sich Sölles perfider Blick auf ihr Heimatland". „Diese Beschreibung Deutschlands als Kolonie der USA durchzieht das ganze Buch. Sie erinnert heute an die Thesen der sogenannten Reichsbürger". (Seite 135)
2. Beitrag bei Facebook im September 2023
Ich habe Anfang August einen ersten kürzeren Text bei Facebook veröffentlicht zu dem Buch von Konstantin Sacher über Dorothee Sölle. Und kurz danach die sehr positive Rezension des Buches durch Ferenc Herzig ebenfalls gepostet. Ich hatte damals einen Generationen-Gap der Wahrnehmung von Sölle und Ihrer Theologie vermutet zwischen meiner Generation, die Dorothee Sölle als akademische Lehrerin noch persönlich erlebt hat, und der heutigen Generation der jüngeren Theolog*innen. Ich hatte mir bereits damals vorgenommen, das Buch einige Wochen liegen zu lassen, um es dann in einem zweiten Durchgang (so weit wie möglich sine ira et studio!) noch einmal gründlich zu lesen. Gleich nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich das Buch zur Hand genommen und wirklich noch einmal gründlich gelesen. Über einige meiner Leseeindrücke möchte ich hier kurz berichten.
Mein erster Post hat ja (in durchaus schroffem Ton - ich weiß!) einige in meinen Augen „No-Gos“ vor allem in der Tonlage kritisiert. Bei dieser Kritik bleibe ich. Ich halte die von mir zitierten Stellen auch nach der zweiten Lektüre sowohl in Tonlage wie Inhalt für unangebracht und letztlich auch dem Anliegen des Buches für schädlich. Aber ich möchte nun in einem zweiten Durchgang auf das schriftstellerische Profil und einzelne Inhalte eingehen.
1. Der Autor schreibt im Grunde eine intellektuelle Biografie Sölles, die er kunstvoll mit seiner eigenen intellektuellen Biografie verknüpft. Das ist ein interessanter Zugang, der Respekt verdient. Den Begriff der „intellektuellen Biographie“ übernehme ich von dem Kunsthistoriker Ernst Gombrich (1909-2001). Gombrich hat ein Buch über Aby Warburg geschrieben, das im Jahre 1970 in erster Auflage veröffentlicht wurde und dem er den Titel „Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie“ gab. Gombrich war dieser Untertitel wichtig, weil er - wie er selber schrieb - weniger an der Biographie Warburgs, sondern an der intellektuellen Entwicklung seines Denkens interessiert war. Deshalb sind bei Gombrich auch die Diskurse, in die Warburg sein Denken einzeichnet, die primäre Orientierung.
Vergleicht man nun Sachers Buch mit dem von Gombrich, dann fällt auf, dass Gombrich und Sacher zwar das Interesse an der intellektuellen Entwicklung des Denkens einer bestimmten Person teilen, im konkreten Vollzug jedoch unterschiedlich gewichten. Bei Sacher steht letztlich doch die Biographie Sölles im Vordergrund, aus der heraus er die Intellektuelle Entwicklung Sölles erklärt. Die vorgegebenen Diskurse geraten gegenüber dem Ansatz von Gombrich etwas in den Hintergrund. Man könnte - wenn man pointiert formuliert - sagen: Bei Sachers Darstellung liegt eine „Überbiografisierung“ der vorgegebenen Diskursformationen vor, in denen Sölle sich bewegt. Ich möchte dies nun an einigen Beispielen zeigen, aber auch einige andere Leseeindrücke meinerseits benennen.
2. Gelernt habe ich bei Sacher, wie sehr Sölle in ihren Anfängen durch die Philosophien Jean-Paul Sartres und Martin Heideggers bestimmt war. Das war mir bisher nicht so deutlich. Aber diese Orientierung war andererseits auch keine reine freie Wahl von Sölle, sondern wer in der intellektuellen Welt damals ein Debüt geben wollte, der musste sich sozusagen an den beiden philosophischen Leitdiskursen dieser Zeit orientieren. Noch deutlicher kann man dies an dem kleinen Aufsatz „Dekomposition“ zeigen, den Sölle zusammen mit ihrem ersten Mann dem Künstler Dietrich Sölle geschrieben hat, und dem Sacher großes Interesse entgegenbringt. Sacher dazu:
"Die Dekomposition, eine Kunst also, die aussagt, ‚dass sie nichts aussagt’, wird von beiden Autoren schließlich als die adäquate Kunstform der Zeit beschrieben. Die strukturellen Merkmale einer solchen Kunst seien, dass sie unverfügbar, sprachlos, ohne Mitte ist.“ (S. 25). Damit befinden sich die beiden Sölles in kritischem Widerspruch nicht primär zu dem Literaturwissenschaftler Wolfgang Kayser, den Sacher explizit erwähnt, sondern weitaus mehr zu dem Kunsthistoriker Hans Sedlmayer. Dieser hatte bereits im Jahre 1948 ein Buch veröffentlicht unter dem bezeichnenden Titel „Verlust der Mitte“. Sedlmayer wurde mit dem Buch zum Guru der konservativ-restaurativen Ästhetik der frühen Adenauer-Zeit. Und sein Buch, das viele Auflagen erfuhr, war gleichsam die „Bibel“ dieser Ästhetik. Wenn also nun umgekehrt die beiden Sölles den „Verlust der Mitte“ geradezu zum Qualitätsmerkmal von Kunst erhoben, dann zielen sie genau auf den herrschenden ästhetischen Diskurs bis hinein in die Begrifflichkeit. Eine genauere Wahrnehmung und Skizzierung dieser vorgegebenen Diskursformation hätte der in der Zielrichtung durchaus richtigen Verortung durch Sacher ein schärferes Profil gegeben.
3. Hochinteressant und mir bisher völlig unbekannt waren die Wege, die schließlich zur Veröffentlichung des ersten großen theologischen Buches von Dorothee Sölle „Stellvertretung. Ein Kapitel nach dem ‚Tode Gottes‘“ führten. Die ablehnende Korrespondenz der beiden Verlage Vandenhoeck&Ruprecht und Suhrkamp zeigt an, welches Konfliktpotential in dem Buch Sölles steckte. Zwar mag Sachers Aussage, dass das Buch eigentlich nichts wirklich Neues enthalte, theologiegeschichtlich und aus der Rückschau gesehen gar nicht so falsch sein. Aber ich denke, hier wird der Generation-Gap, von dem ich gesprochen habe, besonders deutlich. Vieles was Sölle damals (wieder?) sagte, ist in der heutigen theologischen Landschaft auf eine ganz selbstverständliche Art und Weise so präsent, dass dessen damaliger Provokationscharakter kaum mehr verständlich ist. Für uns damalige Studierende war das Buch wirklich ein Türöffner in neue Diskurse hinein. Ich halte im Übrigen auch die Aussage Sachers, die Gott-ist-tot-Theologie habe in der deutschsprachigen Theologie kaum Resonanz gefunden, für nicht ganz richtig. Die Vorlesungen, die ich in den Jahren 1969-70 in Tübingen bei Jürgen Moltmann und Eberhard Jüngel hörte, waren im ständigen Gespräch mit der Gott-ist-tot-Theologie. Und ich denke, dass deren Nachwirkungen bis ins Jüngels Hauptwerk „Gott als Geheimnis der Welt“ zu rekonstruieren sind.
4. Zur Nachgeschichte des Buches gehören auch die Versuche, Dorothee Sölle auf einem theologischen Lehrstuhl einer deutschen Universität zu berufen. Sacher legt nun großen Wert darauf, dass hier ein Ergebnis nachhaltiger Legendenbildung vorliege. Ich zitiere jetzt etwas ausführlicher:
"Es ist Zeit, die ewige These von der Verhinderung Sölles auf einem Lehrstuhl ein für alle Mal abzulegen. Sie stimmt einfach nicht. Nicht nur, dass sie wie schon geschrieben eine literaturwissenschaftliche Professur abgelehnt hatte, sie wollte spätestens ab 1975 keine deutsche Professorin mehr sein, sondern hatte etwas Besseres im Sinn. Das heißt nicht, dass sie nicht bekämpft worden wäre. Das ist unbestreitbar. Aber dass sie im deutschen akademischen Betrieb verhindert worden wäre oder ihr eine Professur vorenthalten worden sei, wie immer wieder geschrieben wird, ist Legende. Vielmehr zeigt ja gerade die Episode um ihren Lehrauftrag in Mainz, wie viele Unterstützer sie hatte und dass der Versuch, sie zu verhindern schon Anfang der 1970er Jahre nicht mehr gelang." (S. 117). Das stimmt nun so einfach nicht. Ich habe recherchiert. Dort wo kritisiert wurde, dass Sölle keine Professur erhalten hat, ist immer von einem theologischen Lehrstuhl an einer deutschen Universität die Rede. Und dies unterstreicht das von ihm genannte Mainzer Beispiel nur (und da bin ich unmittelbarer Zeitzeuge). Dass der Lehrauftrag für Sölle nur mit Mühe aufrecht zu erhalten war, erzählt Sacher selbst. Und in diese Zeit fiel auch die Besetzung einer systematisch-theologischen Professur an der Universität Mainz, die nach dem Weggang von Gerhard Sauter nach Bonn frei wurde. Und es gab starke Versuche von Studierenden und Dozierenden, Dorothee Sölle für die Nachfolge ins Gespräch zu bringen. Dies aber wurde nachhaltig verhindert - und das an der Fakultät, an der Sölle viele Semester lang erfolgreich mittels eines Lehrauftrags lehrte. Ich bin mir recht sicher, dass Sölle einen Ruf an die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Mainz angenommen hätte.
5. Die erste große Phase des theologischen Denkens von Sölle fällt in die Zeit vom Erscheinen von „Stellvertretung“ bis zu ihrer Berufung an die Columbia-Universität in New York im Jahre 1975. In diese Zeit fallen die wichtigen Veröffentlichungen Sölles „Politische Theologie“ und „Phantasie und Gehorsam“, denen Sacher zu Recht große Aufmerksamkeit widmet. Dies ist übrigens die Zeit, in der ich Dorothee Sölle als Lehrerin an der Universität Mainz erlebte. Die Turbulenzen um dem Lehrauftrag in Mainz sind im Buch schön nachgezeichnet. In der Verortung in der damaligen universitären Diskurslandschaft fällt jedoch eine riesige Leerstelle ins Auge. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule (wie übrigens auch Ernst Bloch) kommen nicht vor. Sie war jedoch, die damalige Grundierungsmelodie aller damaligen Seminardiskussionen und weder die „Politische Theologie“ noch „Phantasie und Gehorsam“ hätten ohne diese Grundierungsmelodie so geschrieben werden können. So werden oft Urteile als Sölles originäre Urteile ausgegeben, ohne den inhärenten Diskuszusammenhang zu sehen. Dies zeigt sich dort, wo er Sölles „Kulturkritik“ kritisch in Augenschein nimmt. Er konstatiert bei Sölle einen Kulturpessimismus, der ihr Werk durchziehe. Schaut man sich die Stellen an, die Sacher als Beleg anführt, dann zeigt sich, dass dies die von Adorno und Horkheimers Buch „Dialektik der Aufklärung“ ausgehenden Perspektiven sind. Man kann, wenn man möchte, die „Dialektik der Aufklärung“ kulturpessimistisch nennen, aber Sölles ‚Kulturpessimismus’ ist dann eben nicht nur ein biografisches Assesoir, sondern Ergebnis vorgegebener Diskursformationen. Hier zeigt sich meines Erachtens noch einmal exemplarisch, was ich eingangs die Überbiografisierung der Darstellung genannt habe.
6. Zu Recht benennt Sacher kritisch den Antiamerikanismus von Dorothee Sölle. Der ging in der Tat weit über das bei uns 68ern übliche Mass hinaus. Und Fulbert Steffensky hat dazu kürzlich in einem Interview mit „Christ und Welt“ das Seinige und das Notwendige in seiner kritisch-nüchternen Art gesagt. Aber es gab da auch noch die andere Seite, die vielleicht bisher nicht so ans Licht der öffentlichen Wahrnehmung gelangt ist. In ihren Mainzer Seminaren hat Dorothee Sölle uns auf eine hochengagierte Art und Weise - ich sage jetzt mal schlicht so - „Amerika nahe gebracht“. So hat sie mit uns Texte von James Baldwin gelesen und besprochen. Und dies zu einer Zeit, wo auch aus theologischem Professorenmund der Jazz noch als „Negermusik“ bezeichnet werden konnte. Sie hat uns in einer Seminarstunde eine eindrückliche poetologische Analyse der frühen Songs von Joan Baez vorgetragen. Und sie besprach mit uns zusammen einen juristischen Text von Ruth Bader Ginsburg, weit bevor diese die berühmte Richterin am Supreme Court der USA war. Mein heute positives (viel zu positives - wie nicht wenige meinen!) der USA speist sich auch aus den Seminaren der „Antiamerikanerin“ Dorothee Sölle.
7. Und zum Schluss noch ein Schmankerl: Das Buch ist ungemein gut und lesbar geschrieben. Ich habe es beinahe gelesen wie einen spannenden Krimi. Darauf hat ja auch Ferenc Herzig in seiner Rezension abgehoben. Konstantin Sacher bewegt sich als gewandter Flaneur auf intellektuellem Gelände. Gegen Ende des Buches aber gerät der Flaneur auf abschüssige Bahn. Er schildert dort, wie er zu einem Besuch bei Fulbert Steffensky in Luzern eine Fahrt in die Schweiz unternimmt (S. 142-144). Und er sinniert über das Thema, ob und wie Dorothee Sölle zur Schweiz passt. Ich musste beinahe bei jedem Satz, den ich las, laut auflachen.
Konstantin Sacher ist ein Sölle-Kenner zweifellos, von der Schweiz hat er aber offensichtlich wenig Ahnung. Und so reiht er Klischee an Klischee - all die Klischees, die wir Schweizer*innen aus dem „großen Kanton“ (so nennt man Deutschland in der Schweiz manchmal) so kennen. Kleiner ironischer Ratschlag: Diese drei Seiten zumindest bei denjenigen Exemplaren, die in die Schweiz verkauft werden, bitte einschwärzen!
Summa Summarum: Ich habe viel gelernt, ich habe mich viel geärgert, und vielleicht lese ich das Buch noch ein drittes Mal…
Kommentar von Margot Käßmann
„Albrecht Groezinger hat eine wie ich finde sehr treffende Rezension zu Konstantin Sachers Buch über Dorothee Sölle geliefert. Mir drängt sich bei der Lektüre des Buches ein zusätzlicher Eindruck auf, den ich ergänzen möchte.
Mir scheint, er nähert sich dem Objekt seiner Studien mit einer Hermeneutik des Verdachts. Und zwar des Verdachts, dass Dorothee Sölle Kapitalismuskritik und ihr Lebensstil in einem Widerspruch stehen. Das beginnt bereits auf der ersten Seite, als er seinen Besuch bei Dorothees Grab beschreibt, das in einer Hamburger Gegend liegt, in der “der Wohlstand…selbstverständlich“ sei. (S.7) Und dann: “Hier liegt sie begraben, diese Frau, die immer wieder gesagt hat, dass die Armen die Lehrer auf dem Weg in eine gerechtere Welt sein sollen.“
Schon zwei Seiten weiter, also es um das Haus geht, in dem Dorothee aufwuchs betont der Autor die Villen, die eher Schlösschen seien, er fühle sich „wie ein Eindringling hier an einem er teuersten Wohnorte Kölns, der eng verbunden ist mit dem Leben der berühmten deutschen Theologin, die sich oft und intensiv gegen Reichtum gewendet hat.“ (S.9)
Dazu gesellt sich der Vorwurf der Selbstvermarktung: „Sie war eine echte Künstlerin im Zweit- und Drittverwerten ihrer Texte.“ (S. 45) Oder: „Sölle hatte auch damals schon ein Gespür für die große Bühne.“ (S. 55) Sie war zudem „gut bezahlte Professorin an einer US-Hochschule.“ (S. 130) Der Widerstand, über den Dorothee Sölle schreibt, sei „eine Tradition, zu der sie gern gehören möchte", wobei Sacher „Selbststilisierung“unterstellt, schließlich habe sie ihre Kritik „in ein stattliches Haus in einem der reichen Teil des reichsten Hamburgs gebracht.“ (Jeweils S. 156)
Margot Käßmann